Die Taubnessel (Gattung Lamium) gehört zur Familie der Lippenblütler und ist eng verwandt mit Pflanzen wie Minze oder Salbei. Ihren Namen verdankt sie der Tatsache, dass ihre Blätter an die der Brennnessel erinnern – jedoch ohne deren brennende Wirkung. Taubnesseln sind vollkommen „taub“, also harmlos beim Berühren. Die häufigsten Arten in Mitteleuropa sind die weiße, rote und gelbe Taubnessel.
Bereits unsere Vorfahren im Frühmittelalter – darunter auch die germanischen Stämme und später die Wikinger – kannten die Heilwirkung dieser Pflanze. Besonders im Zusammenhang mit reinigenden, schützenden und stärkenden Ritualen war die Taubnessel im Jahreskreis ein fester Bestandteil.
Die Taubnessel zählt zu den stillen, oft übersehenen Heilpflanzen der mitteleuropäischen Flora – und doch entfaltet sie ihre Wirkung auf sanfte, aber tiefgreifende Weise. Schon in der traditionellen Volksmedizin des Nordens war sie als universelles Frauenkraut geschätzt. Besonders die weiße Taubnessel galt als hilfreich bei Menstruationsbeschwerden, Weißfluss oder Gebärmutterleiden, wo sie regulierend und beruhigend wirkte. Ihr sanfter Einfluss auf die weiblichen Organe machte sie zur Verbündeten von Hebammen und weisen Frauen, die ihr Wissen von Generation zu Generation weitergaben.
Die Schleimstoffe in Blüten und Blättern zeigen Wirkung bei Reizungen der Atemwege – ein Aufguss aus getrockneten Pflanzenteilen wurde innerlich als Tee gegen Husten und Verschleimung verwendet. Auch für Magen-Darm-Beschwerden galt sie als lindernd, da sie leicht adstringierend wirkt und entzündungshemmende Eigenschaften mitbringt.
Äußerlich wurde die Taubnessel in heilenden Umschlägen oder Bädern angewendet. Bei Ekzemen, Ausschlägen oder leichten Verbrennungen kam sie zum Einsatz, insbesondere wenn empfindliche oder junge Haut betroffen war. Das macht sie auch heute noch zu einer wunderbaren Heilpflanze für selbstgemachte Kräutersalben oder Bäder – vor allem in Kombination mit anderen milden Pflanzen wie Ringelblume oder Kamille.
In der alten nordischen Welt – wie auch in anderen vorchristlichen Kulturen Europas – war jede Pflanze nicht nur ein Träger medizinischer Eigenschaften, sondern auch ein Symbolträger mit spiritueller Dimension. Die Taubnessel wurde als Kraut der Reinigung, Heilung und Weiblichkeit angesehen. Ihr sanftes Äußeres, ihre helle Blüte und ihre brennfreie Nähe zur Brennnessel machten sie zum Sinnbild für sanfte Kraft – sie stand für Heilung ohne Gewalt, für Reinheit ohne Strenge.
Besonders in den Ritualen des Frühlings, etwa zur Tagundnachtgleiche (Ostara), wurde die Taubnessel verwendet, um Körper, Geist und Raum zu reinigen. Getrocknet und zu Räucherwerk verarbeitet, sollte sie alte Energien vertreiben und das Haus für neue Lebenszyklen vorbereiten. In Ritualbädern sorgte sie für seelische Klärung und galt als schützende Kraft vor Krankheiten und negativen Einflüssen.
Schamanisch gesehen wird ihr eine Verbindung zum Element Luft nachgesagt – nicht zuletzt wegen ihrer leichten, zarten Blüte. Sie wurde genutzt, um Gedanken zu klären, weibliche Intuition zu stärken und als Zutat in schützenden Kräuteramuletten für junge Frauen oder Schwangere. Die weiße Blüte galt dabei als Lichtbringerin, die Dunkelheit im Inneren zu vertreiben vermochte.
In den alten Erzähltraditionen der ländlichen Regionen Skandinaviens und des germanischen Raums wurde der Taubnessel eine enge Verbindung zur Göttin Frigg zugeschrieben – jener Göttin, die über Geburt, Mutterschaft, Haus und Herd wachte. In manchen Sagen heißt es, Frigg habe die brennende Nessel erschaffen, um die Menschen zu lehren, sich vor der Natur zu hüten – und zugleich die Taubnessel, um ihnen auch ein heilendes, friedliches Gegenstück zu geben. Sie sollte zeigen, dass Stärke auch in Sanftheit liegen kann.
Die Pflanze wurde zudem als „Mutterkraut“ bezeichnet und war Bestandteil vieler Brauchtümer rund um Fruchtbarkeit, Geburt und Weiblichkeit. In manchen Regionen glaubte man, dass das Auflegen von Taubnesselblättern auf den Bauch krampfartige Schmerzen lindern und gleichzeitig böse Geister fernhalten könne.
Ein Brauch aus dem ländlichen Norddeutschland berichtet von Mädchen, die sich zur Sommersonnenwende Kränze aus Taubnessel und Gänseblümchen flochten, um Schutz vor falscher Liebe und ungewollter Schwangerschaft zu erbitten. Auch in der Kinderheilkunde wurde das Kraut geschätzt: Ein Tee aus Taubnessel galt als beruhigend für überreizte Kinder und wurde mit der Bitte an die Hausgeister gereicht, das Kind ruhig durch die Nacht zu führen.
Neben ihrer Rolle als Heil- und Ritualpflanze fand die Taubnessel auch in der Alltagsküche der alten Zeit einen Platz – wenn auch oft in bescheidener Form. Die jungen Triebe und Blätter wurden wie Spinat zubereitet, in Eintöpfe gemischt oder mit Kräuterquark serviert. Ihr Geschmack ist mild, leicht süßlich und erinnert entfernt an junge Erbsensprossen. Besonders im Frühjahr, wenn frische Nahrung knapp war, galt sie als willkommener Vitaminspender.
Auch als Teeaufguss wurde die Pflanze oft getrunken – nicht nur medizinisch, sondern auch zur allgemeinen Stärkung und bei Fastenritualen. Die Blüten der weißen Taubnessel ergeben dabei einen besonders klaren, goldgelben Aufguss mit leicht süßem Aroma.
Praktisch nutzte man die Taubnessel auch im Alltag: Ihre Blüten galten als unschädliches Spielzeug für Kinder, da sie süßen Nektar enthalten. In ländlichen Gegenden war es üblich, die Pflanzen auf frischen Strohbetten oder in Schlaflagern auszulegen, um Insekten fernzuhalten – eine einfache, aber effektive Anwendung, die auch von Reisenden und Heilern auf ihren Wegen genutzt wurde.
Heute lässt sich die Taubnessel mühelos in Kräutergärten oder naturnahen Beeten kultivieren. Sie gedeiht gut im Halbschatten, benötigt wenig Pflege und erfreut nicht nur den Menschen, sondern auch Bienen und Hummeln – als stille Hüterin am Wegesrand, die mit ihrer Geschichte und Wirkung auf ihre Entdeckung wartet.
Die Taubnessel ist ein echtes Multitalent der alten Heilkunde. Was heute oft als „Unkraut“ verkannt wird, war früher ein Schlüssel zur Reinigung, Heilung und Stärkung, sowohl auf körperlicher als auch auf spiritueller Ebene. Ihr Platz in der Kräuterkunde der Wikinger und germanischen Stämme ist somit gesichert – als sanfte, aber wirkungsvolle Begleiterin in Ritualen, Hausmitteln und Jahreskreisfesten.
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