Der Blog zur nordischen Mythologie und den Wikingern

Wer war eigentlich Egill Skallagrímsson?

Egil Skallagrímsson ist eine der faszinierendsten Figuren der nordischen Literatur: ein Mann aus Feuer und Eis, ein Berserker mit poetischem Verstand, ein Krieger, dessen Stärke gefürchtet wurde, und ein Dichter, dessen Verse noch tausend Jahre später nachhallen. Er ist eine der wenigen Persönlichkeiten des 10. Jahrhunderts, deren Leben so dicht, so farbenreich und so widersprüchlich überliefert ist, dass Historiker bis heute diskutieren, wo der Mensch endet und der Mythos beginnt.

Die Egilssaga, vermutlich im 13. Jahrhundert von Snorri Sturluson verfasst, zeichnet ein intensives Porträt eines Mannes, der das gesamte Spektrum des Menschlichen verkörpert: Wut und Weisheit, Zerstörung und Kunst, Loyalität und rücksichtsloser Hass. Und in diesem Spannungsfeld entsteht das Bild eines der mächtigsten Skalden des Nordens.

War war eigentlich Egill Skallagrímsson?

Herkunft und Kindheit – Das Aufwachsen eines Ungeheuers und eines Genies

Egil wird um 904 n. Chr. in Borg auf Island geboren, als Sohn des wortkargen Schmieds und Kriegers Skallagrímr Kveldúlfsson und Bruder von Thorolf. Schon seine Geburt steht unter einem dunklen Stern. Sein Vater ist von wölfischer Art – ein Mann, der in der Dämmerung kaum noch menschlich ist, sondern die Züge eines Berserkers annimmt. Diese wilde Linie setzt sich in Egil fort und prägt ihn ein Leben lang.

Bereits als Kind zeigt sich seine Verschmelzung von Rohheit und Genie: Mit sieben Jahren tötet er im Zorn den gleichaltrigen Grim Heggson, weil dieser ihn beim Spiel gedemütigt hat. Im selben Alter trägt er jedoch bereits eigene Verse vor – und zwar nicht einfache Reime, sondern kunstvolle Dróttkvætt-Strophen, wie sie sonst nur erwachsene Skalden meistern.

Es ist diese gefährliche Mischung, die Egil zu einer Ausnahmeerscheinung macht: die Fähigkeit, sowohl Leben zu nehmen als auch Worte zu formen, die Jahrhunderte überdauern.

Egil der Krieger – Blut, Ehre und die Kunst des Überlebens

Als junger Mann schließt sich Egil den raubfahrenden Gefolgschaften norwegischer Häuptlinge an. Seine Kampfkraft ist legendär. Er wird als Berserker beschrieben – ein Krieger, der in Raserei fällt und weder Schmerz noch Furcht kennt. Er ist groß, dunkel, bärtig, grob und unerschütterlich. Die Saga schildert zahlreiche Kämpfe, in denen Egil selbst schwer bewaffnete Gegner mühelos erschlägt.

Sein Leben steht früh im Konflikt mit dem norwegischen Königshaus. König Eirik Blutaxt und besonders dessen Frau Gunnhild, die „Hexenkönigin“, werden zu seinen erbitterten Feinden. Gunnhild hasst Egil und setzt seine Ermordung mehrfach in Gang – und Egil wiederum tötet ihren Sohn Rögnvald im Affekt.

Die Blutfehde eskaliert zu einem der zentralen Konflikte der Saga. Egil steht gegen einen König, der als grausam, aber legitim dargestellt wird – ein Kampf zwischen wildem Individuum und zentraler Macht. Und inmitten all dessen begegnen wir Egil als einem Mann, der Gewalt nicht nur ausübt, sondern über sie nachdenkt.

Seine Kriegerzeit reicht von England über Norwegen bis Island. Er dient zeitweise König Athelstan von England und kämpft in der berühmten Schlacht bei Vinmoor (939 n. Chr.). Egil zeichnet sich dort als heldenhafter Gefolgsmann aus – und Athelstan belohnt ihn mit Gold, Waffen und Ehre.

Egil der Dichter – Worte schärfer als Schwerter

So blutig Egils Taten sind – so fein sind seine Verse. Er komponiert Lobgedichte, Spottgedichte, Zauberverse, Fluchlieder und einige der tiefsten elegischen Klagen der nordischen Literatur. Kein anderer Skalde verbindet Gewalt und Melancholie auf so meisterhafte Weise.

Besonders beeindruckend ist das Gedicht „Höfuðlausn“ („Befreiung des Kopfes“). Gefangen von König Eirik, dem er hätte hingerichtet werden sollen, dichtet Egil in einer Nacht ein Lobpreisgedicht, das so kunstvoll ist, dass der König sein Leben gewährt. Es ist ein Moment, der zeigt, wie mächtig Poesie in der nordischen Welt war – sie konnte sogar den Tod abwenden.

Ebenso berührend ist die berühmte Elegie „Sonatorrek“ („Der unwiederbringliche Verlust der Söhne“), die Egil nach dem Tod seiner Söhne verfasst. Es ist eines der ältesten und kraftvollsten Trauergedichte Europas – ein Mann, dessen Leben von Blut geprägt war, zeigt hier die volle Tiefe seiner Seele, seinen Schmerz, seine Reue und seinen Stolz.

Egil ist damit nicht nur ein Krieger, sondern ein Künstler, dessen Werk als eines der literarischen Kronjuwelen des Nordens gilt.

Egil der Zauberer – Runenmeister und magischer Krieger

Neben Kampf und Dichtung ist Egil auch für seine magischen Fähigkeiten bekannt. Die Saga beschreibt ihn als Runenmeister, der Zaubersprüche und Runen des Schutzes setzt. Er ritzt Runen in Holz, Knochen oder Metall, um Krankheit zu bannen, Liebe zu lösen oder Flüche zu senden.

Berühmt ist die Episode, in der er ein krankes Mädchen heilt, nachdem er herausfindet, dass jemand unkundige Runen in ihr Bett geritzt hat. Egil zerstört die falschen Runen, ritz neue – und das Mädchen wird gesund. Es ist ein eindrückliches Beispiel für die Bedeutung, die Runenwissen in der nordischen Kultur hatte.

Auch in magischen Kämpfen wird Egil erwähnt. Er trägt Zauberstäbe, verflucht seine Feinde, und in einigen Szenen wirkt er eher wie ein Hexenmeister oder ein proto-schamanischer Krieger als ein gewöhnlicher Mann.

Der alte Egil – Einsamkeit, Trauer und die letzten Verse

Egil wird alt – erstaunlich alt für einen Mann seines Lebens. Gegen Ende seines Lebens ist er blind, schwach, von Verlusten gezeichnet. Sein Sohn Thorsten stirbt, seine Enkel sterben, seine Frau Asgerdr stirbt. Sein Zorn wandelt sich in eine tiefe weltmüde Melancholie.

In dieser Zeit entsteht das schon erwähnte „Sonatorrek“. Der alte Egil zeigt darin erstaunliche Selbstreflexion und bittet schließlich Odin um die Kraft, weiterzuleben. Seine letzten Jahre verbringt er in Borg, wo er angeblich mit Gold vergraben im Schoß starb – den Schatz fest umklammert, den kein Lebender finden sollte.

Die Saga schließt mit dem Bild eines Mannes, der größer war als das Leben selbst und in dessen Fußspuren Feuer lodert.

Historische Einordnung – Mythos, Wahrheit oder beides?

Die Gestalt Egill Skallagrímssons bewegt sich in jenem schweigenden Grenzraum zwischen Geschichte und Dichtung, der so typisch für die altnordische Welt ist. Die Egilssaga, unsere wichtigste Quelle zu seinem Leben, wurde vermutlich im 13. Jahrhundert niedergeschrieben – rund zweihundert Jahre nach Egils mutmaßlicher Lebenszeit. Damit steht sie einerseits weit genug entfernt, um Legendenbildung, dramatische Ausschmückung und Überhöhung begünstigt zu haben, andererseits aber noch nah genug, um auf mündliche Überlieferungen, Familienchroniken und reale historische Ereignisse zurückzugreifen. Die Saga entsteht zudem nicht im luftleeren Raum, sondern in einem Umfeld isländischer Gelehrter wie Snorri Sturluson, die ihre eigenen Vorfahren verherrlichten und die Geschichte ihrer Clans bewahren wollten.

Es spricht vieles dafür, dass Egil tatsächlich gelebt hat – und vieles dafür, dass das Bild, das wir von ihm haben, nur noch ein Spiegel seines echten Lebens ist, verzerrt von dichterischer Freiheit und den Bedürfnissen seiner Nachfahren. Die Familie Skallagríms gilt als historisch belegbar; ihre Siedlung Borg, ihr Landbesitz und ihre Nachkommen lassen sich sowohl archäologisch als auch literarisch nachverfolgen. Ebenso historisch greifbar ist die politische Welt, in der Egil gelebt haben soll: König Eirik Blutaxt und seine Frau Gunnhild finden sich in zahlreichen unabhängigen Quellen wieder, ebenso wie König Æthelstan von England, dem Egil laut Saga zeitweise diente. Die große Schlacht bei Vinmoor – in der die Saga Egil eine entscheidende Rolle zuschreibt – ist tatsächlich historisch belegt und fand 937 oder 939 statt. Dass nordische Gefolgsleute mit Æthelstan kämpften, bestätigt die angelsächsische Chronik.

Doch gleichzeitig weist die Saga Elemente auf, die den Bereich des Übernatürlichen streifen und allzu sehr dem Ideal des „großen Mannes“ entsprechen: Egil erscheint übermenschlich stark, unüberwindbar im Kampf, furchterregend selbst für Könige. Seine Runenmagie, seine Berserkerwut und seine schier unmöglichen Rettungen aus ausweglosen Situationen sind typische literarische Stilmittel der Sagaliteratur. Auch seine Gedichte – so meisterhaft sie sind – wurden vermutlich später stilistisch geglättet oder erweitert, um ein ideales Bild des Skalden zu schaffen.

Die Wahrheit über Egil liegt daher nicht in einem einzelnen Punkt, sondern in der Überlagerung zweier Ebenen: einer historischen Figur und eines literarischen Archetyps. Er ist wahrscheinlich ein realer Isländer des 10. Jahrhunderts gewesen, vielleicht ein Krieger, vielleicht ein Dichter, vielleicht ein Mann mit ungewöhnlicher Persönlichkeit. Doch die Saga erhebt ihn über sein tatsächliches Leben hinaus und macht ihn zu einer Verkörperung nordischer Kultur: ein Mensch, der extreme Gewalt und tiefe Kreativität in sich vereint, der das Spannungsfeld der Wikingerzeit so eindrücklich illustriert wie kaum eine andere Figur.

So bleibt Egil Skallagrímsson etwas, das größer ist als reine Geschichte: Er ist ein Mythos, der aus Wahrheit geboren wurde – und eine Wahrheit, die erst durch den Mythos sichtbar wird.

Symbolik – Wer ist Egil für die nordische Kultur?

Egil ist ein Symbol für den Widerspruch in der nordischen Seele. Er ist sowohl der Zerstörer als auch der Schöpfer, der Berserker und der Dichter, der Verflucher und der Liebende. Seine Figur zeigt, dass Stärke nicht nur im Kampf liegt, sondern auch in Worten, Gedanken und Trauer.

Er verkörpert die menschliche Natur in ihrer ganzen Ungezähmtheit – dunkel, hell, wild, verletzlich. Die Saga zeigt einen Mann, der trotz seiner Härte Trost in der Kunst findet und trotz seiner Wildheit ein treuer Freund, ein liebender Vater und ein Mann mit eigenem moralischem Kompass ist.

Zusammenfassung zur Frage: Wer war eigentlich Egill  Skallagrímsson?

Egil Skallagrimsson bleibt eine der komplexesten, faszinierendsten und widersprüchlichsten Gestalten der altnordischen Tradition. Sein Leben, wie es in der Egilssaga geschildert wird, ist ein Wirbel aus Gewalt, Leidenschaft, Genie und tiefer Menschlichkeit. Er ist ein Archetyp: der wütende Dichter, der freie Geist, der Berserker mit Seele. In seinen Versen lebt er weiter – und in jeder Zeile spürt man das Echo eines Mannes, der die Welt mit Worten und Waffen gleichermaßen durchdrang.


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