Der Blog zur nordischen Mythologie und den Wikingern

Kräuter der Wikinger: Mistelkraut

In den frostigen Wäldern und an alten Bäumen Skandinaviens wächst eine Pflanze, die seit jeher Ehrfurcht und Faszination hervorruft – die Mistel (Viscum album). Sie hängt schwebend in den Ästen, wurzelt nicht in der Erde und trotzt den Jahreszeiten mit immergrünen Blättern. Für die Menschen der Wikingerzeit war sie eine Pflanze zwischen den Welten – weder ganz himmlisch noch irdisch, weder ganz Leben noch Tod. Die Mistel vereinte in sich Widersprüche: Sie galt als heilig und heilend, aber auch als unheilbringend und gefährlich. In der nordischen Mythologie ist sie eng mit der Tragödie des Lichtgottes Baldur verknüpft – einer der zentralen Geschichten über Schicksal, Tod und Wiedergeburt. Doch jenseits des Mythos war sie ein bedeutendes Heilkraut und spirituelles Symbol, das die Verbindung zwischen Mensch, Natur und göttlicher Ordnung verkörperte.

Kräuter der Wikinger: Mistelkraut

Die weiße Mistel (Viscum album) ist eine immergrüne Halbparasitpflanze, die auf Bäumen wächst – meist auf Apfel-, Birken-, Weiden- oder Eichenästen. Ihre kugeligen Büsche aus gegabelten Zweigen sind im Winter besonders auffällig, wenn die Wirtsbäume kahl sind. Die Mistel trägt ledrige, gelbgrüne Blätter und im Spätherbst ihre charakteristischen weißen Beeren, die giftig, aber von symbolischer Schönheit sind. Da die Pflanze keinen Kontakt zum Erdboden hat, wurde sie von den nordischen und keltischen Völkern als himmlische Pflanze angesehen – eine Art Bindeglied zwischen den Sphären. Sie wächst, wo sonst kein Leben gedeiht, und bleibt grün, wenn alles andere stirbt – ein Sinnbild für Unsterblichkeit, Lebensenergie und Wiederkehr.

Heilkunde – Die Mistel in der nordischen Medizin

In der Volksheilkunde der Wikingerzeit galt das Mistelkraut als kräftigendes, schützendes und blutreinigendes Mittel. Die Heilkundige und die Völva verwendeten es vor allem zur Stärkung des Herz-Kreislauf-Systems, zur Beruhigung und zur Wundheilung.

Getrocknete Mistelblätter wurden zu Pulver zerstoßen oder in Met eingelegt, um Tinkturen und Tränke herzustellen. Diese wurden gegen Bluthochdruck, Krämpfe, Epilepsie und Fieber eingesetzt. Besonders in den Wintermonaten galt sie als Schutz vor Kälte und Krankheit.

Auch ihre blutstillende Wirkung war bekannt: Äußerlich aufgetragen, half sie bei Verletzungen oder Entzündungen. Mistelrauch wurde in den Häusern verbrannt, um „böse Luft“ und Krankheit zu vertreiben – ein Ritual, das medizinische und magische Bedeutung zugleich hatte.

Doch Vorsicht: Schon damals wusste man, dass die Mistel Gift enthält. Nur kundige Heiler durften sie verwenden, und die richtige Dosierung galt als geheimes Wissen.

Spirituelle und rituelle Nutzung

In der Welt der nordischen Spiritualität war die Mistel mehr als ein Heilkraut – sie war eine heilige Pflanze der Balance und des Übergangs. Da sie weder in der Erde wuchs noch zu den gewöhnlichen Kräutern gehörte, glaubte man, sie sei vom Himmel gesandt.

In bestimmten Ritualen wurde die Mistel geerntet, ohne dass sie den Boden berührte – ein Brauch, den auch die Druiden kannten. Sie schnitten die Pflanze mit goldenen Messern, fingen sie in weißen Tüchern auf und weihten sie den Göttern. Dieses Ritual symbolisierte Reinheit und göttliche Herkunft.

In der nordischen Welt stand die Mistel vor allem in Verbindung mit Fruchtbarkeit, Schutz und Schicksal. Sie wurde über Türen gehängt, um Unheil abzuwehren, und galt als Symbol für Frieden – wer unter ihr stand, durfte keinen Streit führen.

In Seiðr-Ritualen soll sie verwendet worden sein, um Visionen und Träume zu fördern. Ihr Rauch half, die Grenzen zwischen den Welten zu öffnen – und so wurde sie zu einem Werkzeug der Erkenntnis und Prophezeiung.

Mythologische Bedeutung – Baldurs Tod durch die Mistel

Kaum eine Pflanze ist so eng mit einem Mythos verbunden wie die Mistel mit der Geschichte von Baldur, dem Gott des Lichts.

Baldur, geliebt von allen Göttern, wurde von dunklen Träumen geplagt, die seinen Tod ankündigten. Seine Mutter Frigg schwor daraufhin allen Wesen der Welt ab, ihm Schaden zuzufügen – allen, außer der Mistel, die sie für zu jung und harmlos hielt.

Doch Loki, der listige Gott der Täuschung, entdeckte diese Schwachstelle. Er fertigte aus der Mistel einen Speer (oder Pfeil) und übergab ihn Baldurs blinden Bruder Höðr, der nichtsahnend das Geschoss warf – und Baldur tödlich traf.

So wurde die Mistel zur Pflanze des Schicksals: aus Unschuld wurde Tod, aus Leben Verlust. Nach diesem Mythos verband man sie mit der Macht des Übergangs – zwischen Leben und Tod, Licht und Dunkelheit.

In der späteren Überlieferung wurde erzählt, dass Frigg die Mistel segnete, nachdem sie ihren Sohn wiedererlöst sah – und dass sie von da an nicht mehr als Waffe, sondern als Symbol der Versöhnung und Liebe galt. Der Brauch, sich unter der Mistel zu küssen, ist möglicherweise ein fernes Echo dieser alten Vorstellung.

Symbolik – Zwischen Himmel und Erde

Die Mistel verkörpert in der nordischen Symbolik die Verbindung zwischen den Welten. Ihre schwebende Lebensweise machte sie zum Zeichen des Übergangs und der Erneuerung.

Sie galt als Schutzpflanze gegen böse Geister, Krankheit und Unglück, zugleich aber auch als Trägerin göttlicher Kräfte, die Leben und Tod vereinen konnte. Ihr immergrünes Laub steht für Unsterblichkeit und Vitalität, während ihre giftigen Beeren an Gefahr und Vergänglichkeit erinnern.

In der Runenmagie wurde die Mistel manchmal in Verbindung mit der Rune Berkano gebracht, die für Wachstum, Heilung und weibliche Fruchtbarkeit steht. Als Amulett getragen, sollte sie das Herz schützen und spirituelle Stärke verleihen.

Spirituell betrachtet, ist die Mistel ein Symbol der Balance – sie mahnt an die Notwendigkeit, Licht und Dunkel, Leben und Tod, Heilung und Gefahr als Teil eines großen Ganzen zu erkennen.

Überlieferung & Volksglaube

In nordischen Legenden und Volksbräuchen blieb die Mistel bis in die Neuzeit präsent. Auf Island und in Norwegen wurde sie „Líftré“ – Lebensbaum genannt und über Haustüren gehängt, um Schutz zu spenden.

Im Volksglauben glaubte man, dass eine Mistel, die in der Wintersonnenwende geschnitten wurde, besondere Kräfte besaß. Sie sollte Fruchtbarkeit, Frieden und Heilung bringen und half, böse Träume zu vertreiben.

Noch im Mittelalter wurden Mistelzweige bei der Geburt, in Krankenzimmern oder über Wiegen aufgehängt – als Zeichen göttlicher Nähe und Schutzes.

Archäologische und historische Belege

Direkte archäologische Funde von Mistelresten sind aufgrund ihrer zarten Struktur selten. Dennoch liefern botanische Analysen und Grabfunde Hinweise auf ihre Nutzung. In mehreren nordischen Moorfunden – etwa in Dänemark – fanden sich Pollenreste von Mistel, die darauf hindeuten, dass sie Teil ritueller Handlungen war.

Zudem deuten Schriftquellen wie die Edda auf ihre mythologische Bedeutung hin. Der Mythos um Baldur belegt, dass die Mistel im Glaubenssystem der Wikinger fest verankert war. In den Heilpflanzenüberlieferungen des Frühmittelalters, die im angelsächsischen Raum überliefert sind (etwa im Lacnunga), wird die Mistel als Heilmittel erwähnt – ein Hinweis darauf, dass ihre Nutzung auch im Norden verbreitet war.

In der archäobotanischen Forschung gilt sie heute als Symbolpflanze der germanischen Religion, vergleichbar mit dem heiligen Baum der Kelten.

Kulinarik & Alltag vom Mistelkraut

In der Wikingerzeit wurde die Mistel nicht als Nahrung verwendet – sie war schlicht zu giftig. Doch ihre Blätter und Zweige fanden rituellen Einzug in das häusliche Leben. Man hängte sie in Langhäusern über die Feuerstellen, um Rauch und böse Geister zu bannen.

Auch in der Volksmagie des Nordens überdauerte ihr Ruf. In späteren Jahrhunderten wurde sie als „goldener Zweig“ bezeichnet – ein Symbol des Übergangs, das Reisende, Schamanen und Heiler trugen, wenn sie spirituelle Reisen unternahmen.

Zusammenfassung zum Wikinger Kraut Mistelkraut

Die Mistel war für die Wikinger und ihre Nachfahren eine heilige Pflanze voller Widersprüche: lebensspendend und giftig, heilsam und gefährlich, irdisch und himmlisch. In ihrer Symbolik vereint sie die Dualität der nordischen Welt – den ewigen Tanz von Schöpfung und Zerstörung. Als Heilpflanze, als magisches Werkzeug und als mythisches Symbol verband sie die Menschen mit den Göttern. Sie lehrte, dass das Leben nie nur hell oder dunkel ist, sondern beides – wie die Mistel selbst, die in der Kälte grünt und auf totem Holz gedeiht.


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