Der Blog zur nordischen Mythologie und den Wikingern

Götter der Wikinger: Hönir (Hœnir)

Die nordische Mythologie kennt zahlreiche Göttergestalten, die mit klaren Rollen wie Krieg, Liebe, Magie oder Fruchtbarkeit verbunden sind. Daneben gibt es aber auch Gottheiten, deren Bedeutung schwerer zu fassen ist – zu ihnen gehört Hœnir (auch Hönir geschrieben). Er erscheint an zentralen Stellen der Edda, doch bleibt sein Wesen oft rätselhaft und von einer eigentümlichen Stille umgeben. In den Mythen ist er sowohl Mitgestalter der Welt, Geisel im Asen-Vanen-Krieg als auch ein Gefährte Odins auf wichtigen Reisen. Seine Ambivalenz zwischen Stille, Entscheidungskraft und Abhängigkeit von anderen Göttern macht ihn zu einer faszinierenden Figur, die zwischen den großen Linien der nordischen Kosmologie steht.

Götter der Wikinger: Hönir

Hœnir in der nordischen Mythologie

In der Schöpfungsgeschichte der Völuspá wird Hœnir gemeinsam mit Odin und Lóðurr genannt. Diese drei Götter erschufen aus zwei Holzstämmen das erste Menschenpaar: Ask und Embla. Während Odin den Atem und das Leben schenkte, Lóðurr das Blut und die Wärme, gab Hœnir den Menschen Verstand und Denkfähigkeit. Damit ist er unmittelbar mit der geistigen Dimension des Menschseins verbunden.

Im Mythos des Asen-Vanen-Krieges spielt Hœnir eine entscheidende Rolle. Nach dem langen Krieg tauschten Asen und Vanen Geiseln aus, um den Frieden zu sichern. Die Vanen erhielten Hœnir und Mimir. Hœnir wurde zum Anführer der Vanen erklärt, doch immer dann, wenn er Entscheidungen treffen sollte, konnte er dies nur auf Rat von Mimir tun. Ohne Mimirs Weisheit erschien er unsicher und untätig. Die Vanen fühlten sich getäuscht, als sie dies erkannten, und rächten sich grausam: Sie enthaupteten Mimir und sandten dessen Kopf zu den Asen zurück. Dieses Ereignis zeigt Hœnirs zwiespältige Natur – er ist ein Gott, der auf andere angewiesen ist, aber gerade darin die enge Verflechtung göttlicher Mächte verkörpert.

In anderen Überlieferungen tritt Hœnir als Gefährte Odins auf. Gemeinsam reisen sie mit Loki und anderen Göttern durch die Welt, wobei Hœnir meist schweigsam und zurückhaltend dargestellt wird. Seine Rolle ist oft die eines stillen Begleiters, der zwar präsent ist, aber selten aktiv eingreift.

Symbolik von Hœnir

Die Symbolik von Hœnir ist auf den ersten Blick paradox: Er ist einerseits derjenige, der den Menschen Denken und Geist verlieh, andererseits erscheint er oft zögerlich und unselbständig. Doch genau darin liegt seine Tiefe.

Hœnir repräsentiert das Prinzip der Entscheidung – nicht als schnelle Handlung, sondern als Prozess, der Beratung und Nachdenken erfordert. Seine Abhängigkeit von Mimir zeigt, dass Weisheit und Handlung untrennbar miteinander verbunden sind. Ohne Rat kann selbst ein Gott wie Hœnir nicht handeln; mit Rat jedoch wird er zum Anführer. Damit symbolisiert er die Notwendigkeit der Gemeinschaft und der Verbindung verschiedener Kräfte, um Ordnung und Leben zu erhalten.

Sein Schweigen kann ebenfalls als Symbol gedeutet werden: In einer Welt, die von Wort, Schwur und Rede geprägt ist, verkörpert Hœnir die Macht des Unausgesprochenen. Seine Gestalt mahnt, dass nicht jedes Wort sofort gesprochen werden muss, sondern dass Weisheit auch im Schweigen liegt.

Der Kult um Hœnir: Verehrung und Rituale

Über einen eigenständigen Kult Hœnirs ist nichts direkt überliefert. Seine Bedeutung als Miterschaffer des Menschen und als göttlicher Geisel deutet jedoch an, dass er in mythischen und rituellen Kontexten als Bindeglied zwischen den Göttern verehrt wurde.

Besonders die Rolle, den Menschen den Geist zu geben, könnte ihn in Ritualen der Erkenntnis, Weissagung oder Initiation wichtig gemacht haben. In der Struktur der nordischen Religion verkörpert Hœnir weniger den Krieg oder den Alltag, sondern eine kosmische Kraft, die im Hintergrund wirkt: die Fähigkeit, zu denken, abzuwägen und Entscheidungen zu treffen.

Historische Quellen und Belege zu Hœnir

Die wichtigsten Quellen zu Hœnir finden sich in den Eddas. In der Völuspá und der Vafþrúðnismál erscheint er als Miterbauer der Welt und Geber des Verstands an die Menschen. Snorri Sturluson beschreibt ihn in der Prosa-Edda ausführlicher im Zusammenhang mit dem Asen-Vanen-Krieg.

Auch in der Ynglingasaga wird Hœnir erwähnt. Hier heißt es, dass er zusammen mit Odin und Loki auf Reisen ging und im Gefolge Odins stets eine Rolle spielte. Archäologische Belege, die direkt mit Hœnir in Verbindung gebracht werden können, fehlen, was nicht verwundert: Seine Rolle war weniger die eines öffentlich gefeierten Gottes, sondern eher die einer stillen, inneren Macht.

Hœnir im Vergleich zu anderen Göttern

Vergleicht man Hœnir mit anderen Asen, zeigt sich sein Sonderstatus. Während Odin als allwissender und machtvoller Gott der Weisheit gilt, ist Hœnir eher ein Gott des Zögerns und Abwägens. Er ist nicht schwach, sondern verweist auf die Tatsache, dass auch Götter ohne die Weisheit anderer nicht vollkommen handeln können. Im Gegensatz zu Loki, der ungestüm handelt und Chaos stiftet, verkörpert Hœnir die Langsamkeit, Bedächtigkeit und Abhängigkeit.

Hœnir in der modernen Rezeption

Heute wird Hœnir in neopaganen und heidnischen Strömungen selten verehrt, doch gerade seine Symbolik wird zunehmend neu gedeutet. Er gilt als göttliche Kraft, die zeigt, dass Entscheidungen nicht isoliert entstehen, sondern dass es immer Beratung, Weisheit und Gemeinschaft braucht. Für manche ist er ein Vorbild für die Kunst des Schweigens und die Macht, die darin liegt, Worte zurückzuhalten.

In der modernen Literatur und Forschung wird Hœnir oft als Bindeglied zwischen Asen und Vanen verstanden – ein Gott, der beide Welten miteinander verknüpft und damit ein Symbol für den Frieden und das Gleichgewicht zwischen verschiedenen Kräften darstellt.

Zusammenfassung zum nordischen Gott Hœnir

Hœnir ist eine jener Gestalten der nordischen Mythologie, die weniger durch laute Taten als durch subtile, symbolische Bedeutung wirken. Er ist Mitgestalter der Menschheit, Geisel im Krieg zwischen Asen und Vanen, Gefährte Odins und zugleich eine geheimnisvolle Gestalt, deren Schweigen ebenso mächtig ist wie ihre Gabe des Geistes. Seine Bedeutung liegt darin, dass er uns zeigt: Entscheidungen brauchen Rat, Weisheit und Zeit. In einer Welt, in der Ehre, Schwüre und Worte alles bestimmten, verkörpert Hœnir die Kraft des Abwägens, die Macht des Schweigens und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Er ist ein Gott des Geistes, aber auch der Abhängigkeit – und gerade in dieser Ambivalenz spiegelt er die Vielschichtigkeit der nordischen Religion.


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