Der Blog zur nordischen Mythologie und den Wikingern

Götter der Wikinger: Sjöfn

In den eddischen Quellen begegnen wir einer Vielzahl von Göttinnen, deren Rollen von zentraler Bedeutung bis hin zu fast rätselhaft reichen. Neben den großen Gestalten wie Frigg und Freya, die als Hauptgöttinnen die Themen Ehe, Fruchtbarkeit und Liebe verkörpern, finden sich auch stillere, fast vergessene Namen. Eine dieser geheimnisvollen Figuren ist Sjöfn. Sie wird nur selten genannt, und doch erfüllt sie eine wichtige Rolle im Spektrum göttlicher Mächte: Sie ist die Göttin, die Zuneigung, Liebe und Zuwendung unter den Menschen weckt.

Götter der Wikinger: Sjöfn

Sjöfn in der nordischen Mythologie

Sjöfn erscheint vor allem in Snorri Sturlusons Prosa-Edda, wo sie in der Gylfaginning als eine der Asinnen aufgezählt wird. Ihre besondere Aufgabe sei es, „die Menschen zum Lieben zu bringen“, und dass „Frauen und Männer durch sie füreinander entbrennen“. Diese knappe Notiz ist fast alles, was die Quellen uns über sie berichten – und doch öffnet sie ein weites Feld für Deutung.

Die nordische Götterwelt kannte viele Gestalten, die mit Liebe und Beziehung in Verbindung standen: Frigg als Göttin der Ehe, Freya als Göttin der Sinnlichkeit und Fruchtbarkeit. Sjöfn nimmt daneben eine subtilere, aber nicht weniger bedeutende Rolle ein: Sie ist keine Verkörperung von Fruchtbarkeit oder familiärer Bindung, sondern von der Zuneigung selbst, der inneren Kraft, die Menschen einander nahebringt.

Ihr Name ist vermutlich mit dem altnordischen Verb sjá („sehen“) verwandt. Manche Forscher deuten dies so, dass Sjöfn jene ist, die Menschen einander „sehen lässt“ – also die Aufmerksamkeit aufeinander lenkt, aus der Nähe, Zuwendung und schließlich Liebe erwächst. Damit ist sie die Göttin des Augenblicks, in dem zwei Menschen einander erkennen und ihre Herzen füreinander entflammen.

Der Kult um Sjöfn: Verehrung und Rituale

Direkte archäologische oder literarische Hinweise auf einen eigenständigen Kult für Sjöfn sind nicht erhalten. Dennoch spricht vieles dafür, dass sie in häuslichen Ritualen oder in der privaten Volksreligion eine Rolle gespielt haben könnte. Liebe, Ehe und Beziehungen waren zentrale Themen im Leben der nordischen Menschen, und während große Opferfeste den Hauptgöttern galten, dürfte eine Göttin wie Sjöfn in den stilleren Momenten angerufen worden sein: bei Hochzeiten, Verlobungen oder wenn man die Zuneigung einer geliebten Person gewinnen wollte.

In einer Gesellschaft, in der Heiraten oft durch Familienarrangements bestimmt wurden, könnte Sjöfn für das „innere Feuer“ gestanden haben – für die echte emotionale Bindung, die über Pflicht und Vertrag hinausging. Rituale für sie könnten also eher individuell oder familiär gewesen sein: ein Gebet, ein kleines Opfer von Speise oder Schmuck, eine Anrufung, dass Liebe im Haus wachse und erhalten bleibe.

Symbolik von Sjöfn

Die Symbolik Sjöfns ist subtil, aber tiefgründig. Sie steht nicht für Leidenschaft im Sinne der körperlichen Liebe (das ist Freyas Bereich) und nicht für die institutionalisierte Ehe (die Frigg verkörpert), sondern für die innere Zuwendung, die Menschen füreinander empfinden.

Sie ist die Verkörperung des Blicks, des Funkens, der Menschen einander näherbringt. In diesem Sinn symbolisiert Sjöfn die sanfte, aber mächtige Kraft der Zuneigung, die Gemeinschaften formt, Freundschaften entstehen lässt und die Bande der Liebe zwischen Mann und Frau, aber auch zwischen Familienmitgliedern und Freunden stärkt.

In ihrer Funktion zeigt sich die Vorstellung, dass Liebe nicht nur eine körperliche oder soziale Realität ist, sondern eine göttlich inspirierte Macht. Die Idee, dass Menschen einander „durch Sjöfn sehen“ und dadurch füreinander entflammen, macht sie zu einer Göttin der Begegnung und der zwischenmenschlichen Wärme.

Historische Quellen und Belege zu Sjöfn

Die wichtigste Quelle zu Sjöfn ist Snorri Sturlusons Prosa-Edda, insbesondere die Gylfaginning, wo sie in der Aufzählung der Asinnen genannt wird. Dort heißt es, dass „es ihr obliegt, Liebe unter Menschen zu erwecken“. Mehr Details liefert Snorri nicht.

In der Skaldendichtung taucht ihr Name kaum auf, was darauf hindeutet, dass Sjöfn nie zu den zentralen Gottheiten des öffentlichen Kults gehörte. Allerdings ist die Erwähnung in Snorris Systematisierung ein Hinweis darauf, dass ihr Name und ihre Funktion in den überlieferten Traditionen durchaus präsent waren.

Sprachwissenschaftlich ist der Name Sjöfn vermutlich mit sjá („sehen“) verwandt. Dies unterstützt die Interpretation, dass ihre Kraft im „Aufeinandersehen“, im Erkennen, im Augenblick der Zuwendung liegt. Sie ist also nicht nur Göttin der Liebe im abstrakten Sinn, sondern eine Personifikation der Begegnung, die Liebe möglich macht.

Sjöfn in der modernen Rezeption

Heute spielt Sjöfn in der neuheidnischen Szene und im Ásatrú eine kleine, aber nicht unbedeutende Rolle. Sie wird dort vor allem als Göttin für zwischenmenschliche Beziehungen angerufen – nicht nur romantisch, sondern auch freundschaftlich oder familiär.

In der Popkultur ist Sjöfn kaum präsent, da die meisten modernen Darstellungen der nordischen Mythologie sich auf die bekannteren Figuren konzentrieren. Doch gerade für Menschen, die in der alten Mythologie nicht nur Krieg und Macht, sondern auch Zuwendung und Nähe suchen, bietet Sjöfn eine faszinierende Gestalt: Sie erinnert daran, dass Liebe eine göttliche Gabe ist, die Menschen verbindet und Gemeinschaft ermöglicht.

Zusammenfassung zur nordischen Göttin Sjöfn

Sjöfn ist eine stille, aber bedeutungsvolle Göttin im nordischen Pantheon. Sie steht für die Kraft der Zuneigung, die Menschen füreinander empfinden, für den Blick, der Nähe schafft, und für das Feuer, das Herzen verbindet. Auch wenn die Quellen spärlich sind, zeigt ihr Name und ihre Funktion, dass sie ein wichtiger Aspekt des göttlichen Wirkens war – ein Aspekt, der den Alltag der Menschen durchdrang, wenn sie Liebe suchten oder bewahren wollten. Ihre Gestalt erinnert uns daran, dass die nordische Mythologie nicht nur aus Krieg, Tod und Ragnarök besteht, sondern auch aus den stillen, verbindenden Kräften, die Gemeinschaft und Nähe schaffen.


Die Hávamál in deutscher Hardcover Variante

Jetzt vorbestellen!

Die Hávamál, Odins Weisheiten, Zitate und Verse, in deutscher Ausgabe inklusive moderner Interpretation seitens NorseStory. Sicher dir dein Exemplar der Erstauflage der Hávamál aus dem Verlag NorseStory.

Produktdetails der Hávamál in Deutsch

  • Format: Hardcover DIN A5
  • Inhalt: 200 Seiten
  • Alle 165 Verse mit moderner Interpretation
  • fundierte faktische Hintergrundinformationen zur Hávamál
  • Deutsche Fassung
  • Erscheinung: 15.–24. Oktober 2025

Dir gefällt der Blog und der Verlag?

Dann unterstütze unsere Arbeit, Recherche und unser Projekt "NorseStory - auf den Spuren der Wikinger" gerne mit einer PayPal Spende. Jede Spende wird in den Verlag NorseStory investiert.

Ein paar weitere Leseempfehlungen für dich - oder wähle deine nächste Kategorie im Wikinger Blog:

Mehr von uns

Unser Blog

NorseStory - Wikinger, Götter und nordische Mythologie

© NorseStory