
Zwischen den stillen Hainen, an den Waldrändern und in den moosigen Hügeln Skandinaviens lebte ein Tier, das in der nordischen Welt Respekt, Bewunderung und ein wenig Furcht zugleich hervorrief: der Dachs (altnordisch: grágríss oder moldvarpa in älteren Formen). Für die Wikinger war der Dachs weit mehr als ein gewöhnliches Waldtier – er war ein Symbol für Erdverbundenheit, Ausdauer und das stille Wissen des Bodens. In einer Kultur, die Natur, Tierwelt und Spiritualität eng miteinander verband, galt der Dachs als Verkörperung der Erde selbst – grimmig, unbeugsam, aber gerecht. Er lebte verborgen unter der Oberfläche, in selbst gegrabenen Tunneln, und war damit ein Sinnbild für Selbstständigkeit, Überleben und den Schutz des Heims. Seine Lebensweise – allein, stark und unnachgiebig – passte perfekt zum Ideal des nordischen Freien: unabhängig und fest verwurzelt im eigenen Land.

Der Dachs war in Skandinavien weit verbreitet, und seine Spuren lassen sich in zahlreichen archäologischen und literarischen Quellen finden. Schon in der Eisenzeit nutzten Menschen sein Fell, seine Krallen und sogar seine Zähne – als Amulette, Werkzeuge und Schutzsymbole. Dachsfell war wegen seiner Dichte und Haltbarkeit begehrt und wurde für Winterkleidung, Handschuhe und Futterstoffe verwendet.
Auch als Jagdbeute spielte der Dachs eine Rolle. Er galt als zäh und schwer zu fangen – wer einen Dachs erlegte, bewies Mut und Geschick. Doch es war auch mit Vorsicht verbunden, denn der Dachs verteidigte sich hartnäckig und galt als Tier, das niemals kampflos aufgab. Genau deshalb sahen ihn viele als Totemtier der Standhaftigkeit und des Durchhaltevermögens.
Der Dachs war kein Tier der großen Götter, wie der Rabe oder der Wolf, aber er gehörte zu den heiligen Tieren der Erde. Seine Verbindung zum Boden, zu den Höhlen und Dunkelheiten unter der Erde machte ihn zu einem Symbol für den Übergang zwischen Leben und Tod, zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt.
Auch wenn der Dachs in der Edda nicht ausdrücklich genannt wird, spiegelt sich seine Symbolik in der allgemeinen Vorstellung der nordischen Völker vom Unterirdischen wider. Die Erde (Jörð) war in der nordischen Mythologie eine lebendige, göttliche Kraft – und der Dachs galt als eines jener Wesen, die mit ihr auf besondere Weise verbunden waren.
In vielen nordischen Volksglauben – insbesondere in späteren Überlieferungen aus Island und Norwegen – wird der Dachs als „Wächter des Bodens“ bezeichnet. Seine Höhlen wurden als kleine Abbilder der Unterwelt Hel betrachtet: ein Ort, an dem Leben ruht, verborgen, aber nicht verloren. Wer einen Dachsbau störte, galt als Frevler gegen die Kräfte der Erde.
Seine doppelte Natur – friedlich, solange man ihn lässt, aber furchtlos im Kampf – machte ihn zum Sinnbild der inneren Stärke. In Runenmagie und Tierdeutungen der späten Wikingerzeit stand der Dachs für Beharrlichkeit, Heimat, Heilung und Schutz.
Er war kein Tier der Angriffslust, sondern der Wehrhaftigkeit. Wie ein Bauer, der sein Land verteidigt, oder ein Krieger, der in der Schildreihe stand, verteidigte der Dachs seine Höhle – und damit das, was ihm heilig war.
In der nordischen Symbolsprache verband man Tiere oft mit Runen und Naturkräften. Der Dachs wurde mit den Runen Eihwaz (ᛇ) – dem Symbol für Übergang, Schutz und das Reich unter der Erde – und Berkana (ᛒ) – der Rune der Erneuerung und des Wachstums – in Verbindung gebracht. Diese Kombination spiegelt seine Natur wider: das Gleichgewicht zwischen Tod und Wiedergeburt, Rückzug und Stärke.
In einigen Volksüberlieferungen wurde der Dachs auch als Helfer von Heilern und Kräuterkundigen gesehen. Seine tiefe Verbindung zum Boden und sein Lebensraum in der Erde machten ihn zu einem Tier, das die Kräfte der Heilpflanzen und Mineralien in sich trug. Manche Völur (Seherinnen) oder lyfjarkonur (Heilerinnen) trugen kleine Dachsknochen oder Zähne als Amulett, um ihre Erdverbundenheit und Schutzmagie zu stärken.
Im nordfriesischen und altnorwegischen Volksglauben hielt man Dachsfett für heilkräftig, besonders bei Wunden, Gelenkschmerzen und Hautkrankheiten. Diese Heilsalben wurden mit Bienenwachs und Kräutern wie Thymian oder Wacholder gemischt – eine Praxis, die in ihrer Wurzel bis in die Wikingerzeit zurückreichen dürfte.
Archäologisch lassen sich die Spuren des Dachses in mehreren Fundorten der Wikingerzeit nachweisen. In Siedlungen wie Haithabu, Birka und Oseberg fand man Tierknochen von Dachsen, die auf gezielte Jagd und Nutzung hinweisen.
Besonders in Haithabu wurden Dachsknochen in Hausfundamenten entdeckt – vermutlich als Schutzopfer, das den Bau segnen und vor Unglück bewahren sollte. Diese Praxis ist auch bei anderen Tieren (z. B. Pferd, Hund, Hahn) bekannt und spiegelt den Glauben wider, dass Tiergeister Haus und Hof bewachen.
In Oseberg, dem Grab zweier hochrangiger Frauen, fand man Tierknochen und Felle von verschiedenen Arten, darunter auch Dachsfellreste. Diese könnten Teil von Kleidung, Ritualgegenständen oder Talismanen gewesen sein – Zeichen, dass der Dachs mit Schutz und Erdmagie assoziiert wurde.
Ein besonders interessantes Detail zeigt sich in nordskandinavischen Grabbeigaben: kleine Anhänger aus Knochen oder Bernstein, die stilisierte Tiere darstellen, teils mit Merkmalen eines Dachses – gedrungener Körper, kurze Schnauze, kräftige Pfoten. Diese Symbole dienten vermutlich als Amulette für Standhaftigkeit und Erdverbundenheit.
Im Alltag der Wikinger war der Dachs ein vertrautes, aber respektiertes Tier. Seine Höhlen prägten die Landschaft, und seine Gewohnheiten galten als Zeichen der Naturzyklen. Wenn Dachse ihre Bauten verließen, galt das als Vorzeichen für Wetterwechsel oder bevorstehenden Frühling.
Für die Bauern und Jäger des Nordens war er ein Zeichen für Ausdauer – ein Tier, das durch die Dunkelheit lebte und doch in Harmonie mit dem Jahreskreis stand. In manchen Regionen glaubte man, Dachse könnten Erdbeben oder Bodenschwingungen spüren, lange bevor Menschen sie wahrnahmen. Diese Beobachtungen machten ihn zu einem „Erdseher“, einem Tier, das die Sprache der Tiefe verstand.
Auch in der Symbolik der Gemeinschaft hatte der Dachs seinen Platz: Wer standhaft, ruhig und schwer zu provozieren war, wurde im Volksmund „so fest wie ein Dachs im Bau“ genannt – ein Kompliment für Charakterstärke.
Spirituell gesehen repräsentierte der Dachs die Verwurzelung im Leben. Er war ein Tier, das sich nicht durch äußere Stürme beirren ließ, sondern seine Kraft aus der Tiefe zog. In schamanischen Deutungen steht der Dachs für die Fähigkeit, nach innen zu graben, um dort Heilung und Erkenntnis zu finden.
Diese Vorstellung passt perfekt zur nordischen Weltsicht, in der alles miteinander verbunden war: die Oberwelt der Götter (Asgard), die Welt der Menschen (Midgard) und die Unterwelt (Hel). Der Dachs lebte an der Grenze dieser Welten – zwischen Licht und Dunkelheit, Leben und Tod, Oberfläche und Tiefe.
Als solches Wesen galt er als Mittler zwischen den Ebenen des Daseins, ähnlich wie der Baum Yggdrasil, dessen Wurzeln tief in die Erde reichen.
In der modernen nordischen Spiritualität erlebt der Dachs eine stille Wiederentdeckung. Er steht für Schutz, innere Stärke und Selbstbehauptung – Werte, die tief in der Wikingerkultur verwurzelt sind. Viele sehen in ihm heute ein Krafttier, das lehrt, Grenzen zu setzen, Rückzug zu wagen und doch unerschütterlich den eigenen Weg zu gehen.
In der Runenarbeit wird er als Begleiter jener gedeutet, die sich mit Themen wie Erdung, Heilung oder Selbstfindung beschäftigen. Sein Geist erinnert daran, dass wahre Stärke oft leise ist – verborgen unter der Oberfläche, aber unzerstörbar.
Der Dachs ist eines jener Tiere, die die Seele der nordischen Welt verkörpern: unauffällig, aber kraftvoll; ruhig, aber unbeugsam. Für die Wikinger war er ein Sinnbild für Erdverbundenheit, Schutz und Beständigkeit – ein Tier, das sein Heim mit Entschlossenheit verteidigte und den Kreislauf von Leben und Tod verkörperte. In ihm spiegelt sich die Weisheit der Erde selbst: die Kraft, in der Dunkelheit zu ruhen, bis die Zeit gekommen ist, wieder ans Licht zu treten. Der Dachs erinnert uns daran, dass Stärke nicht laut sein muss – manchmal genügt es, fest zu stehen, tief zu graben und still die Welt zu tragen.
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