Der Blog zur nordischen Mythologie und den Wikingern

Wer war eigentlich Tore Hund?

Unter den mächtigen Jarlen und Kriegern der späten Wikingerzeit nimmt Tore Hund (Þórir hundr, „Tore der Hund“) eine herausragende, fast legendäre Rolle ein. Er war kein namenloser Gefolgsmann, sondern ein Häuptling von hohem Rang, ein Mann, der Reichtum, Ehre und Einfluss besaß – und zugleich als einer der wenigen bekannt ist, die es wagten, sich gegen König Olav den Heiligen zu stellen. Tore Hund war ein Mann des Nordens, aus Bjarkøy in Nordnorwegen stammend, wo die Stürme über die Fjorde peitschten und die Clans noch nach altem Recht lebten. Er verkörperte den Konflikt seiner Zeit: zwischen alten Göttern und neuem Glauben, zwischen der Unabhängigkeit der Häuptlinge und der aufkommenden königlichen Macht. Sein Name ist untrennbar mit der Schlacht bei Stiklestad (1030) verbunden – einer der bedeutendsten Auseinandersetzungen in der Geschichte Norwegens, die das Ende der Wikingerzeit einläutete. Doch Tore Hund war weit mehr als der Mann, der den König tötete. Er war ein Symbol für die alte Ordnung, für Loyalität gegenüber Familie und Clan, für das Recht auf Widerstand und die Treue zum Erbe der Ahnen.

Wer war eigentlich Tore Hund?

Herkunft und Stellung – Der Häuptling von Bjarkøy

Tore Hund wurde um 990 n. Chr. geboren und entstammte einer der mächtigsten Familien Nordnorwegens. Seine Heimat Bjarkøy, auf einer Insel im heutigen Troms, war ein bedeutendes Machtzentrum und ein Knotenpunkt für Handel, Fischfang und Seefahrt. Der Familienbesitz reichte über große Teile der Region, und Tore war durch Geburt und Vermögen einer der reichsten Männer des Nordens.

Sein Beiname Hundr („Hund“) war in der nordischen Kultur kein Schimpfwort, sondern eine Auszeichnung – der Hund galt als Symbol für Treue, Mut und unerschütterliche Wachsamkeit. Tore war bekannt für seine Entschlossenheit und seinen unbändigen Willen, die Freiheit seiner Familie und seines Volkes zu bewahren.

In den Sagas wird er als mächtiger, kluger und willensstarker Mann beschrieben, ein Anführer, der ebenso gefürchtet wie respektiert war. Seine Verbindungen reichten weit: Er war mit Asbjørn Selsbane, einem anderen bedeutenden Häuptling, verschwägert, und unterhielt Handelsbeziehungen bis nach Russland.

Tore Hund war aber auch tief im alten Glauben verwurzelt. In einer Zeit, in der König Olav der Heilige das Christentum gewaltsam durchzusetzen begann, blieb Tore den alten Bräuchen und den Göttern treu.

Der Konflikt mit König Olav dem Heiligen

Die Spannungen zwischen den nordnorwegischen Häuptlingen und König Olav entstanden durch die Christianisierungspolitik des Königs. Olav wollte ein geeintes Norwegen unter seiner Herrschaft und dem neuen Glauben – doch das bedeutete das Ende der Unabhängigkeit der lokalen Jarle.

Der Konflikt wurde persönlich, als Asbjørn Selsbane, Tore Hunds Neffe, auf Befehl eines königlichen Statthalters ermordet wurde. Tore sah darin nicht nur eine politische, sondern eine familiäre Blutschuld. In der Ehre eines nordischen Mannes war es undenkbar, eine solche Tat ungesühnt zu lassen.

Tore schwor Rache. Die Sagas berichten, dass er sein Rüstungsteil, den berühmten Bärenkittel, mit Zauber und Schutzsegen versah. Dieses Gewand – aus der Haut eines weißen Bären gefertigt – sollte ihm im Kampf Unverwundbarkeit verleihen. Damit wurde Tore Hund fast zu einer mythischen Gestalt: halb Mensch, halb Tier, ein Krieger mit der Wildheit der alten Götter.

Als König Olav versuchte, seine Macht auch über den Norden auszudehnen, fanden sich zahlreiche Häuptlinge unter Tores Banner zusammen. Sie sahen in Olav keinen Heiligen, sondern einen Tyrannen, der die alten Sitten mit Feuer und Schwert auslöschte.

Die Schlacht bei Stiklestad (1030)

Die Entscheidung fiel am 29. Juli 1030, in der Ebene von Stiklestad. Es war ein Tag, an dem die Geschichte Norwegens sich wendete.

König Olav kehrte aus der Verbannung zurück, um seine Macht zurückzugewinnen. Ihm gegenüber stand ein Heer aus Bauern, Häuptlingen und freien Männern – Männer, die genug hatten von königlicher Willkür. Unter ihnen: Tore Hund, Kalv Arnesson und Hårek von Tjøtta.

Die Sagas beschreiben, dass Tore Hund im Kampf in der vordersten Reihe stand. Seine Rüstung, durch Runen und Zauber geschützt, machte ihn nahezu unverwundbar. Der Kampf tobte mit erbitterter Härte, und am Ende fiel König Olav durch die Hände seiner Feinde.

In der Heimskringla heißt es:

„Tore Hund stieß den Speer in den Leib des Königs, und Kalv Arnesson hieb ihn mit der Axt. So fiel Olav unter den Händen seiner Feinde.“

Damit wurde Tore Hund zu einem der Königsmörder – und zum Symbol des Widerstands gegen das neue Regime.

Doch die Geschichte hatte eine bittere Wendung. Kurz nach Olavs Tod begann man, Wunder an seinem Leichnam zu berichten: sein Blut soll Wunder bewirkt, seine Haare gewachsen sein. Olav wurde heiliggesprochen, und Tore Hund – der Sieger von Stiklestad – wurde zum Verfluchten, zum Mann, der einen Heiligen erschlagen hatte.

Tore Hund nach Stiklestad – Der letzte Weg des Häuptlings

Nach der Schlacht veränderte sich alles. König Olavs Sohn, Magnus der Gute, übernahm später die Herrschaft, und das Christentum setzte sich endgültig durch. Für Tore Hund war kein Platz mehr in dieser neuen Ordnung.

Er verließ Norwegen – freiwillig oder verbannt, die Quellen widersprechen sich – und begab sich auf eine Pilgerreise nach Jerusalem. In der Heimskringla heißt es, dass er das Land der Heiden verließ, um Buße zu tun. Dort, fern seiner Heimat, verliert sich seine Spur. Manche Überlieferungen deuten an, dass er in Byzanz oder im Heiligen Land gestorben sei, andere, dass er nie zurückkehrte.

Sein Weg ist jener eines Mannes zwischen den Zeiten: ein Krieger, der die alte Welt verteidigte, aber am Untergang ihrer Ordnung zerbrach.

Symbolik und Nachwirkung

Tore Hund verkörpert den Übergang von der heidnischen zur christlichen Ära, wie kaum eine andere Figur. Er war der letzte Vertreter jener alten aristokratischen Ordnung, in der Ehre, Blutsverwandtschaft und persönliche Freiheit über königlichem Gesetz standen.

Sein Name, „Hund“, steht für Treue – doch sein Schicksal zeigt, wie selbst die Treuesten von der Geschichte überrollt werden. Er war loyal gegenüber seinem Clan, seiner Familie und seinen Göttern, aber nicht gegenüber einem König, den er als Unterdrücker empfand.

In der nordischen Erinnerung blieb er eine ambivalente Figur: kein einfacher Schurke, sondern ein tragischer Held. Während die Kirche ihn als Königsmörder verdammte, ehrten viele im Norden seine Standhaftigkeit. Noch Jahrhunderte später erzählten die Menschen in Nordnorwegen von Tore Hund, dem Mann, der einen König tötete und dann in die Ferne zog, um Vergebung zu suchen.

Historische Quellen und Belege

Tore Hund ist in mehreren mittelalterlichen Quellen überliefert, vor allem in der Heimskringla von Snorri Sturluson, der Saga von Olav dem Heiligen (Óláfs saga helga) und der Fagrskinna. Diese Berichte entstanden zwar erst ein Jahrhundert nach den Ereignissen, gelten aber als bedeutende Zeugnisse der mündlichen Tradition.

Archäologisch gibt es keine direkten Funde, die eindeutig mit Tore Hund in Verbindung stehen, doch zahlreiche Orte in Nordnorwegen – besonders auf Bjarkøy und in Troms – tragen Legenden und Toponyme, die auf ihn zurückgeführt werden. Auf Bjarkøy soll sich der Hof des Häuptlings befunden haben, und Ausgrabungen dort zeigen, dass die Region im 11. Jahrhundert ein bedeutendes Machtzentrum war.

Runeninschriften und Ortsüberlieferungen wie der „Hundsberg“ oder „Torehaugen“ bewahren sein Andenken in der nordnorwegischen Landschaft.

Zusammenfassung zu: Wer war eigentlich Tore Hund?

Tore Hund war ein Mann, der zwischen zwei Welten stand. Er kämpfte für das alte Recht, die Freiheit der Häuptlinge und den Glauben seiner Vorfahren – und geriet damit unweigerlich in Konflikt mit der neuen Zeit. Sein Name wurde zum Synonym für Widerstand, Ehre und Tragik. Als Königsmörder ging er in die Geschichte ein, doch in Wahrheit war er ein Symbol für den Untergang der alten Ordnung und die Geburtswehen des christlichen Norwegens. Seine Geschichte erinnert daran, dass Wandel immer Opfer fordert – und dass selbst der stärkste Krieger die Zeit nicht besiegen kann.


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